Onlinecampus Review

MOOCs – Massive Open Online Courses. Offene Bildung oder Geschäftsmodell?

Ausgabe: #7 Mai 2013
Rubrik: Publikationen
Institution: Onlinecampus Virtuelle PH

Hrsg: Rolf Schulmeister

Verlag: Waxmann (14. November 2013); ISBN-13: 978-3830929604

Version als PDF zum kostenlosen Download: http://www.waxmann.com/fileadmin/media/zusatztexte/2960Volltext.pdf
Vortrag von Rolf Schulmeister über MOOCs

Kaum ein Trend hat in der Welt des Online-Lernens in letzter Zeit so hohe Wellen geschlagen wie MOOCs. MOOCs sind frei zugängliche Online-Kurse mit sehr hoher Teilnehmendenzahl, also von 160 bis zu hunderttausenden. Ob Gamification, Badges oder Mobile Learning, das E-Learning Format MOOC stellt alle diese Trends in den Schatten und löste einen regelrechten Hype aus, der nun vom amerikanischen Kontinent nach Europa schwappt. Mit dem von Rolf Schulmeister herausgegebenen Buch, das mit Beiträgen von MOOC AutorInnen, OrganisatorInnen und TeilnehmerInnen, sowie kritischen Analysen dieses Phänomens aufwartet, liegt nun eine solide und fundierte Bestandsaufnahme desselben vor. MOOCs werden in all ihren Facetten beleuchtet und hinterfragt.

Rolf Schulmeister, der im Rahmen der Entstehung dieses Buchs an zahlreichen MOOCs teilgenommen hat, geht auch deren geschichtlicher Entwicklung auf den Grund. Sie waren eigentlich eher ein Zufallstreffer eines Stanford-Professors, Sebastian Thrun, der das Format MOOC, das bereits 2008 von Dave Cormier als solches benannt wurde, ausprobierte und schon mit dem ersten Kurs 160.000 Teilnehmende anlocken konnte. Dieser anfängliche Erfolg veranlasste ihn und andere ProfessorInnen amerikanischer Elite-Unis, noch mehr solcher Kurse anzubieten. Wir befänden uns wohl nicht im System des Kapitalismus, wenn nicht schon kurz darauf mehrere mit Risikokapital finanzierte Startups aus dem Boden geschossen wären, die in Kooperation mit Universitäten solche frei zugänglichen Kurse anboten.

Mit dem Beitrag „Der Beginn und das Ende von Open“ deutet Schulmeister auch gleich an, dass das mit solcher Begeisterung gestartete E-Learning Format noch in den Kinderschuhen steckt und vielleicht auch einem verfrühten Niedergang entgegengehen könnte... So geht er in seiner Kritik auch auf lerntheoretische Schwächen von bisher abgehaltenen MOOCs ein, die aber manchmal in leichten Kulturpessimismus abdriftet. Die von den BetreiberInnen der MOOC Plattformen propagierte Realisierung des Traums vom freien Zugang zu den bisher nur den Eliten vorbehaltenen Bildungsangeboten scheint jedenfalls ein Traum zu bleiben: Der aktuelle Trend, so diagnostiziert Schulmeister, geht eher in Richtung „Freemium“ beziehungsweise dahin, das Format als kostengünstige Alternative zum herkömmlichen Hochschulabschluss anzubieten, wobei es bis jetzt noch kein MOOC gibt, dessen Abschluss als Teil eines universitären Curriculums anerkannt wäre. Die gegründeten Unternehmen haben schließlich auch das Ziel, Geld zu verdienen, und das ist mit kostenlosen Kursen nicht so einfach möglich. Somit fällt freilich eigentlich ein „O“ (für Open Access) aus dem Namen MOOC heraus - und wir wären wieder beim klassischen E-Learning.

Die von Uni-ProfessorInnen ins Leben gerufenen Plattformen wie Udacity, Coursera oder EdX,  wurden nicht von Didaktik-ExpertInnen gegründet, sondern von InformatikerInnen. Das erklärt vielleicht das ernüchternde Resümee von Schulmeister: „MOOCs sind weder moderne Lehre, noch folgen sie einem aktuellen lerntheoretischem Ansatz [...]. Es gibt keine MOOCs, deren digitale Vortragshäppchen die Bildung revolutionieren werden.“ Weiters ortet Schulmeister die Gefahr, dass MOOCs PolitikerInnen als Vorwand dienen könnte, um Bildungsbudgets zu kürzen. Diesem eher pessimistischen Blick in die Zukunft stehen aber auch Beiträge gegenüber, die das Potenzial von MOOCs in ein positiveres Licht rücken und auch genug davon in diesem Format orten können.

So wird zum Beispiel nicht nur im Beitrag von Jörn Loviscach & Sebastian Wernicke auch ein wesentlicher Vorteil von MOOCs (der eigentlich auch für Online-Kurse generell gilt) klar: Durch das Feedback der Teilnehmenden und die Zusammenarbeit von mehreren Lehrenden mit Online-Didaktik-Experten/Expertinnen werden Kurse andauernd verbessert und optimiert. Loviscach und Wernicke geben außerdem Einblicke in die Planung, Erstellung und Durchführung von MOOCs auf der Plattform Udacity. Von der aufwendigen Erstellung der Vortragsvideos, bis hin zur sehr interaktiven Konzeption der Lernübungen und der automatisierten Auswertung von Abgaben, werden tiefere Einblicke in die Arbeit geboten, die im Hintergrund stattfindet. Von der Zusammenarbeit mit dem Udacity-Team, dessen Augenmerk auf möglichst viel Interaktivität liegt, über Probleme beim Überprüfen von Lösungen, die Mehrfachantworten erlauben, bis hin zum erhaltenen Feedback durch die Teilnehmenden, wird alles detailliert geschildert.

Auch der technische Aspekt kommt nicht zu kurz: wie es anzustellen ist, dass so viele User die Server nicht überfordern, wird im Beitrag von Christoph Meinel anhand der deutschen MOOC Plattform openHPI beschrieben. Die Nutzung von Cloud-Technologien in Kombination mit einem ausgefeilten Aufnahmesystem (hier Tele-Task: http://www.tele-task.de/) für die Aufzeichnung der Lernvideos und die Anpassung eines OpenSource Lernmanagementsystems (Canvas) an die Anforderungen eines MOOC wird hier näher beschrieben.

Auch Erkenntnisse in der Moderation eines MOOCs werden zum Beispiel im Erfahrungsbericht von Eric Rabkin, der ein literaturwissenschaftliches MOOC konzipierte und moderierte, näher beleuchtet. Für erfahrene E-ModeratorInnen, die schon durch die Schule von Gilly Salmon gegangen sind, mag dies eine nicht allzu ergiebige Wissensquelle sein; sie gibt aber gut die neuartige Erfahrung, auf einmal auf die Bedürfnisse von tausenden großteils anonymen Usern reagieren zu müssen, wieder. Dem Moderierenden wird dabei ein ganz anderes Moderationsverhalten abverlangt als z.B. in einem kooperativen Online-Seminar: Es wird nicht mit Teilnehmenden direkt kommuniziert und prinzipiell nur allgemein und zusammenfassend Feedback gegeben. Prinzipiell geschieht die Kommunikation in MOOCs auch fast immer nur unter den Teilnehmenden.

Das Buch wird durch abschließende Analysen rund um den Hype „MOOCs“ abgerundet. Im Beitrag von Burkhard Lehmann finden sich viele Aspekte kondensiert und auf den Punkt gebracht wieder, die bereits in den vorhergehenden Texten ausführlicher abgehandelt wurden. Lehmann schafft es, eine prägnante und zielsichere Zusammenfassung von Problemen, Potenzialen und Vorteilen von MOOCs zu geben. Diese sind zweifellos ein weiterer Meilenstein in der Geschichte des E-Learning, haben aber auch noch diverse Anfangsprobleme zu bewältigen.

Zusätzlich zur Lektüre des Buches ist auch ein Vergleich sehr interessant, wie sich das vom Onlinecampus Virtuelle PH angebotene Format „Kooperative Online-Seminare“ (KOS) von jenem des MOOC unterscheidet. Hier eine Vergleichsaufstellung MOOC versus KOS:



Fazit: Ein Buch, das dem Phänomen MOOC auf den Zahn fühlt und den aktuellen Hype mit all  seinen lerntheoretischen Problemen, wirtschaftlichen und sozialen Aspekten und Potenzialen und praktischen Umsetzungen in gelungener, fundierter und umfassender Weise beschreibt. Das Buch macht jedenfalls Lust darauf, selbst an einem MOOC teilzunehmen und auch einmal auf diese Weise den eigenen Wissensdurst zu löschen!