Onlinecampus Review

Digitale Aufklärung. Warum uns das Internet klüger macht.

Ausgabe: #6 April 2013
Rubrik: Publikationen
Institution: Onlinecampus Virtuelle PH

Autoren: Tim Cole, Ossi Urchs

Carl Hanser Verlag. München 2013
ISBN 978-3-446-43673-2

Ossi Urchs gilt als Internet-Guru der ersten Stunde mit einem Background in der Philosophie, Theater- und Politikwissenschaft. Gemeinsam mit Tim Cole, einem deutsch-amerikanischen Kolumnisten, Blogger und Internet-Experten verfolgte er bereits über mehrere Jahre ein Buchprojekt, dessen Resultat seit Oktober dieses Jahres vorliegt: Digitale Aufklärung. Warum uns das Internet klüger macht.

Dieses Werk der „mit unbeirrbarem Optimismus in die nicht nur digitale Zukunft Blickenden“ (zumindest bezeichnet sich Cole als solcher) nimmt eine bewusste Gegenposition zu Aussagen und Thesen von Frank Schirrmacher, Manfred Spitzer und anderen „Kulturpessimisten“, wie sie von den Autoren bezeichnet werden, ein. Letztere geben – so im ersten Kapitel des Buches – dem Internet und der digitalen Vernetzung die Schuld für allerlei Übel der Menschheit. Man ertrinke in der Informationsflut, könne mit dem enormen Tempo der neuen Entwicklungen nicht mithalten, wäre nicht fähig Informationen zu filtern und würde der digitalen Revolution machtlos gegenüberstehen. Urchs und Cole wollen mit ihrem Buch, ganz im Geiste der klassischen europäischen Aufklärung, einen Denkprozess, ein Umdenken einleiten und einen Diskurs anstoßen. Der Unternehmensberater und IT-Experte Michael Kausch schreibt dazu in seiner Laudatio zum Buch Folgendes:

"Urchscole (Anm.: Kausch hat aus den Namen der zwei Autoren einen gebildet und spricht von ihnen im Singular) kündigt etwas an, was noch nicht geleistet ist, aber nach seinem Buch dringlicher denn je erscheint: eine Gesellschaftstheorie des Internet. Ja er verweist in seinem Buch auf die große Parallele zwischen dem Paradigmenwechsel der Digitalisierung und dem Aufkommen der bürgerlichen Gesellschaft im 18. Jahrhundert."

"Selber denken!" lautet, ganz nach Kant, die Devise der beiden Autoren. Menschen sind nicht Opfer der digitalen Entwicklungen, sondern sie haben diese tiefgreifenden Veränderungen selber herbeigeführt und sind sehr wohl in der Lage, sie zu steuern. Vorausgesetzt sie denken ein wenig um und versuchen Dinge etwas anders zu sehen. Die „Digital Natives“, unter denen die Autoren keine an ein bestimmtes Geburtsdatum gebundene Generation verstehen, sondern Menschen, die gelernt haben, die Phänomene Vernetzung und Beschleunigung der Wirklichkeit so zu nutzen, wie es für sie am besten ist, sind schon am ehesten in der Lage, neue Bedingungen und Entwicklungen als solche zu erkennen und neu zu denken.

In zehn zentralen Thesen argumentieren die Autoren für die Notwendigkeit einer digitalen Aufklärung. Diese sind in Kauschs Laudatio im Detail nachzulesen. These 1 lautet beispielsweise: „Alles, was sich digitalisieren lässt, wird digitalisiert. Alles, was sich vernetzen lässt, wird vernetzt. Und das verändert alles!“. In These 2 postulieren die Autoren: „Digitalisierung und Vernetzung sind kein Schnupfen: Sie gehen nicht mehr weg!“ Und daraus resultiert These 10: „Wir brauchen eine digitale Aufklärung: Neu und selbst gedachte Kategorien, die allein dieser grundsätzlich veränderten Welt gerecht werden können. Nur damit können wir diese Welt kritisch reflektieren und produktiv nutzen.“

Auf die einzelnen Thesen wird in den 11 Kapiteln des Buches noch im Detail eingegangen. Urchs und Cole schreiben zum Beispiel, dass Menschen schon seit jeher in Netzwerken gelebt und sich in solchen organisiert haben, weil diese sich sowohl auf die Produktivität als auch auf die Kreativität positiv auswirken und nicht zuletzt eine große wirtschaftliche Kraft besitzen, die zahlreiche Unternehmen bereits für sich genutzt haben, an der aber auch viele bisherige Business-Modelle zugrunde gegangen sind.

Wie das Verhältnis von Arbeits- und Privatleben in Zukunft aussehen wird, dazu skizzieren Urchs und Cole einige Szenarien, die zum Teil sicher bereits vielerorts Realität sind, sich aber vielleicht auch anders entwickeln könnten als von den Autoren prognostiziert. Der Trend zum Home-Office und immer mehr FreiberuflerInnen, Phänomene wie „Starbucks-Worker“ oder „Digitale Beduinen“, die nur wissen müssen, wo sich die nächste Oase oder auch der nächste WLAN-Hotspot befindet, sind sicher nicht von der Hand zu weisen. Dazu im Gegensatz steht jedoch eine Pressemeldung von Yahoo, in der es darum geht, wieder mehr Office-Präsenz einzufordern, da Studien ergaben, dass zwar beim Home-Office die Produktivität größer sei, KollegInnen aber innovativere Idee hätten, wenn sie gemeinsam an einem Ort arbeiteten.

Spannend sind die Ansichten des Autorenteams zum Thema Privatsphäre. Sie sind der Meinung, dass die Vorstellung, es gäbe eine private Welt im Zeitalter des digitalen Dorfes, obsolet geworden ist. Klar ist, dass sich in Zukunft Verhaltensregeln, ein Weg zur „digitalen Diskretion“ herauskristallisieren müssen. Die Fähigkeit dazu haben Digital Natives bereits zum Teil entwickelt, so die Beobachtungen der Autoren. Sie sind sich dessen bewusst, dass durchs „digitale Schlüsselloch“ lugen, sich einfach nicht gehört! Für Privatpersonen genauso wenig wie für ganze Staaten, wie im Kapitel „Das Erdbeben von New York“ besprochen wird.

Nahezu radikal sind die Ausführungen von Urchs und Cole zum Rechtsempfinden in Bezug auf das Urheberrecht. Sie sind der Meinung, dass jede/r, der etwas Neues entwickelt, auf Dinge zurückgreift, die andere vorher entwickelt haben. „Wenn einer so gut abschreibt, dass daraus ein eigenständiges und ernst zu nehmendes Werk entsteht, dann nennen wir es Kunst. Wenn einer schlecht abschreibt und verarbeitet, dann nennen wir es Plagiat.“ Urheberrecht ist aus Sicht der Autoren nicht mehr als eine Kreativitätsbremse und sollte abgeschafft werden. AutorInnen, MusikerInnen etc. sollten vielmehr darüber nachdenken, wie sie ihre kreativen Produkte auch kreativ vermarkten können, beispielsweise mit einzigartigen Erlebnissen wie Konzerten oder Lesungen, die einen Mehrwert für die BesucherInnen darstellen, der sich nicht mit einer duplizierbaren CD oder einem zu kopierenden Text vergleichen lässt. Ein Umdenken in diese Richtung ist manchen vielleicht schon gelungen, viele kämpfen aber noch einen Kampf, von dem noch keiner weiß, wie er ausgehen wird ...

Wie sieht sie also nun aus, die Digitale Aufklärung? Sie soll auf den drei Grundpfeilern Transparenz, Offenheit und Selbstregulierung stehen – dies halten Urchs und Cole für ungeheuer wichtig. Weiter zu denken, vor allem selber zu denken und nach neuen Begriffen und Werten zu suchen, dazu möchten sie ihre LeserInnen motivieren. Mit dem erfrischenden Appell, neuen Entwicklungen nicht immer nur skeptisch, ängstlich und abweisend zu begegnen, sondern sich mit Offenheit und Neugier an ein Umdenken heranzuwagen.