Onlinecampus Review

Professionelle Intelligenz: Worauf es morgen ankommt

Ausgabe: #5 März 2013
Rubrik: Publikationen
Institution: Onlinecampus Virtuelle PH


Autor: Gunter Dueck

Eichborn Verlag; Auflage: Aufl. 2012 (23. August 2011)
ISBN-10: 3821865504
ISBN-13: 978-3821865508


In seinem etwas über 250 Seiten starken Buch führt uns Gunter Dueck, von zeit.de zum „Hofnarr der digitalen Elite“ gekürt, einen teils etwas stark gewundenen Gedankenpfad entlang: Seine Hauptthemen sind, wie sich die gesellschaftlichen Anforderungen durch das Internet verändert haben, und was eine Person im Laufe eines Bildungswegs und Berufslebens künftig lernen und dann einbringen muss, um eine bereichernde und lukrative  - oder besser: überhaupt eine - Stelle zu (er)halten.

Zuerst beschreibt er dazu den Ist-Stand und die einschneidenden gesellschaftlichen und globalen Veränderungen der letzten Jahre und Jahrzehnte. Was es da in der Arbeitswelt brauchen würde, ist ihm ganz klar, doch fast noch klarer stellt er uns vor Augen, wie wenig davon derzeit vorhanden ist. Richtet er dann den Blick auch noch auf unsere Bildungsinstitutionen (in seinem Fall: Deutschlands, aber die Kritikpunkte sind durchaus umzulegen), erscheint dort auch der Nachschub mehr als kümmerlich. Hier neigt Dueck leider zu Polemisierungen und flapsig-zugespitzten Aussagen, die er vor allem seinen „Managern“ und „Lehrern“ in den Mund legt – wohl gemerkt: Managerinnen finden sich bei ihm keine, höchstens ab und an eine Sekretärin. Dafür gibt es aber schon die eine oder andere einfühlsame Lehrerin, die ihren Schüler/inne/n im Gedächtnis blieb.

Schon zu Beginn des Buches beschreibt der Autor zwei Jahrhunderte der Industrialisierung und der informatischen Wende im Vorübergehen und folgert daraus: wer vom Wandel nicht überrollt werden will, sollte sich schleunigst das Prädikat „Premium“ im Berufsleben verdienen. Zu Unrecht werde das Lohndumping von Fastfoodketten oft kritisiert, denn: „Wer nur impft, wird [auch] nicht wie ein richtiger Arzt bezahlt!“ und der/die Durchschnittsmediziner/in ist auch beinahe obsolet, weil man seine Symptome ja googlen könne. Dueck konstatiert den „Zwang zur Exzellenz“. Ehemals angesehene Berufe verkommen zur leicht ersetzbaren „Commodity“ und können jederzeit ausgelagert/durch Maschinen ersetzt werden. Ein Mensch kann, so seine Botschaft, dennoch dem Computer immer überlegen sein, denn er/sie fühlt, reagiert instinktiv, intuitiv – und darin sieht Dueck unsere Chance, uns auch zukünftig von Computern unersetzbar zu machen, indem wir „professionell intelligent“ sind.

Interessant wird es vor allem dann, wenn Dueck als IBM-Ex-Manager immer wieder zu seiner „Homebase“ zurückkehrt: Unternehmen und ihre Mitarbeiter/innen. Hier zeigt er auf, wie wichtig und unumgänglich neue, professionelle Managementstrategien und ein neues, positives und zum Gelingen inspirierendes Menschenbild sind, will man Exzellenz und professionelles Arbeiten erreichen und zunehmende Burnout-Raten vermeiden  – was ihm ebenfalls ein großes Anliegen ist. Dies legt er – zu Recht! – auch auf die Schule und das gesamte Bildungssystem um.

Er spricht, vor allem was die fehlende Realitäts- und Berufsnähe der Schulbesuchenden und Studierenden angeht, wichtige Problematiken an und plädiert für frühe(re) Konfrontationen mit der Arbeitsrealität und Förderung des/der Einzelnen auf vielfältigen Ebenen. An kühnen Gedankenexperimenten und dem Mut zum Neuen mangelt es Dueck definitiv nicht. Beim Lesen kommt aber ab und an das Gefühl auf, dass heutige Menschen unter 25 eine beunruhigend fremde Spezies sein müssen, die mit dem Denken und den Anforderungen älterer Lehrender/Chefs überhaupt nicht kompatibel sind (Dueck vergleicht den Menschen und seine/ihre Bildung auch gerne mit Computer und deren Software). Vielleicht aber traut Dueck den vielbesprochenen „Digital Natives“ (von denen er sich für die Zukunft viel erwartet!) doch etwas zu viel zu? Tatsächlich mag der Umgang mit neuen Medien bei den Jungen ein unbefangenerer sein, aber auch hier sträubt sich vielleicht manche/r Leser/in gegen allzu schnelle Generalisierungen. Auch die künftigen Professionals in den Megafirmen, die er heraufbeschwört, haben etwas Unheimliches an sich.

Verschiedene Intelligenzen – selten gefördert oder beachtet
Wendet sich Dueck dann aber den Begriffsdefinitionen und Erklärungsmodellen rund um Intelligenz zu und weist in Tradition von  Gardner, Goleman, Cattell u.a. auf deren herkömmliche Unzulänglichkeiten hin, wird es wieder interessant! Dueck stellt sein Konzept der Professionellen Intelligenz vor. Er definiert diesen Intelligenzen-”Cluster” als eine „Begabung zur Bildung von Erstklassigem“ und „zum Gelingen“. Die Wichtigkeit eines hervorragenden Bildungssystems und von mit Zeit und finanziellen Ressourcen gut gestützten Mentoring-Prozessen auf diesem Weg der „Professional“-isierung betont er dabei stark. Doch über welche Intelligenzen verfügt so ein/e „Professional“? 

Dueck unterscheidet:

  • IQ: die „herkömmliche“ Intelligenz des Verstandes (z.B. Strukturierung ...)
  • EQ: die emotionale Intelligenz des Herzens und der Zusammenarbeit (z.B. Teamwork ...)
  • AQ: die Intelligenz der Sinnlichkeit/Attraktivität (z.B. Werbung, Design ...)
  • CQ: die Intelligenz der Kreation/intuitiven Neugier (z.B. Innovationsfreude ...)
  • MQ: die Intelligenz der Sinnstiftung/des intuitiven Gefühls (z.B. Integrität ...)

Diese 5 Intelligenzen in gutem Zusammenspiel führen also nach Dueck zu einem „hohen PQ“, über den Schlüsselpersönlichkeiten („Keystones“), die das Ganze entwickeln und am System arbeiten,  und Expert/inn/en (T-Shape-Spezialist/inn/en), die den Überblick haben und im System arbeiten, verfügen müssen - in welchem Bereich auch immer. Nur so können sie den neuen Anforderungen entsprechen ohne ersetzbar zu werden. Wo genau die jeweiligen Intelligenzen Anwendung finden, beschreibt er nachfolgend angenehm anschaulich und bringt interessante Aspekte ein, indem er anhand von (manchmal zu) einfachen Beispielen erläutert.

Durch ein kurzes Anreißen der Debatte Sozialisierung versus Veranlagung kommt er zu dem Punkt, dass eine gute Bildung jedenfalls einen großen Unterschied machen kann bezüglich “wie intelligent“ im umfassenden Sinn jemand ist/durch exzellente Bildung werden kann.

Zukunftsvision „ohne“ Schule: „Der Computer geht auf mich ein“
Autoritäre Stile sind überall zunehmend weniger gefragt; Kontrolle weitestgehend nicht mehr möglich – das macht ohne Frage nicht nur, aber stark,  dem System Schule Probleme. Professionals aber arbeiten ohnehin aus anderen Gründen exzellent und gerne – und bestehen auch auf ein reiches Leben außerhalb. Die Schule, so kritisiert Dueck vollkommen richtig, bedient oft nur die herkömmliche Intelligenz und hemmt oder tötet gar die Begabungen auf anderen Gebieten ab, statt sie zu fördern. Insgesamt hat die Schule, wie sie heute existiert, für ihn daher als System ausgedient, denn es gibt zu wenige Professionals (ebenso unter Lehrenden wie im Management!), die Struktur ist zu starr und die „Digital Natives“ (also grob gesagt alle Schüler/innen) lernen sowieso völlig anders, als es die Schule heute einfordert. „Analog Exiles“ (also überspitzt gesagt, ein Gutteil der heutigen Lehrer/innenschaft, die nicht mit neuen Medien aufgewachsen ist) könnten diese daher auch nicht kompetent unterrichten: es müssen Professionals her – und an Stelle des Unterrichts sollte ohnehin das (self-)Training des/der Einzelnen gesetzt werden, ausgelagert in großem Maße nach Hause und ins Internet. Die Frage, die Dueck sich dabei scheinbar nicht gestellt hat, ist: wer im Familiensystem soll angesichts der heutigen Arbeitsrealität, wo meist beide Erziehungsberechtigten arbeiten,  zuhause bleiben, um (zumindest) die jüngeren Kinder dabei zu betreuen?

Leitmedien- und Leitstilwechsel
Im letzten Abschnitt des Buches formuliert Dueck seine Eutopie des Internets als zukünftigen Orts des Lernens, der dazu allerdings, wie er einräumt, noch viel qualitätsvollerer Inhalte bedarf. Bereits jetzt ist eine Masse an Wissen für beinahe jede/n immer und überall (beinahe) frei verfügbar. Dueck wünscht sich all dies und mehr bestens aufbereitet in einer Art „erweiterter Wikipedia“: Videos, Hörbeispiele und Co. zu jedem Eintrag, jedem Wort. Nur so können die „neuen“ Schüler/innen nach ihrer Realität und ihrem Lerntyp eigenständig und in ihrem Tempo optimal lernen. Sie treffen sich in dieser Vision nur noch zu „Premium“-Gesprächen nach dem Selbststudium im Netz mit den Lehrenden, die Mentor/inn/en und Coaches statt Prüfer/innen sein sollen und in der Vorstellung Duecks eine persönliche Beziehung zu dem/der Schüler/in haben sollen.

Fazit
Gunter Dueck schafft vielleicht eher Utopien als Eutopien. Man wünscht sich teils vergebens mehr konkrete Ideen für das Bildungssystem, dem er ja große Wichtigkeit attestiert - es gerät aber, so der Eindruck, recht schnell in die Ecke der “Analog Exiles”, wer Zweifel an der Umsetzbarkeit mancher Ideen anmeldet. Auch bleibt der Eindruck, Dueck stütze seine Einschätzung der Kompetenzen und Bedürfnisse von Schüler/inne/n und Lehrenden auf wenig Greifbares , was seine Ausführungen nicht immer glaubhaft macht bzw. bisweilen als sehr verknappte Darstellung daherkommt. Für Aufgeschlossene (und zum Beispiel fur Institutionen, die sich mit E-Learning auseinandersetzen, wie den Onlinecampus Virtuelle PH)  finden sich in diesem Buch aber definitiv einige interessante Trendvorhersagen und Denkanstöße. Man möge sich nicht an Tonfall, inflationärem Gebrauch von Ausrufungszeichen und manchmal etwas überspitzten Beispielen stoßen.