Onlinecampus Review

Drei Leseempfehlungen für ein „digital-inklusives“ Bildungswesen

Ausgabe: #25 April 2016
Rubrik: Publikationen
Institution:

Aktuell läuft hinter den Kulissen ein großes Entwicklungs- und Change-Projekt des BMBF an: Unter dem Dach eEducation Austria vereinigen sich die E-Learning-Initiativen Österreichs zu einem gemeinsamen Projekt. (Die Eckpunkte dazu stehen bereits fest und sind unter http://eeducation.at nachzulesen.)

Drei unlängst erschienene Bücher scheinen mir aufs Beste geeignet, dieser Entwicklung (und nicht nur dieser) als Wegweiser dienen zu können – drei persönliche Leseempfehlungen.

  • Beat Döbeli Honegger: Mehr als 0 und 1. Schule in einer digitalisierten Welt

War der Unterricht eigentlich vor 30 oder 50 Jahren, als im Großen und Ganzen (Schul-)Bücher als Medien ausreichten, nicht „gut genug“, sodass man jetzt unbedingt dem „Digitalen“ Einzug in die Schulen gewähren muss? Vorsicht: Denkfalle! Diese Frage stellte sich damals gar nicht. Damals hätte man fragen müssen, ob Unterrichtohne gedruckte Bücher gut genug sei. Alle, die in „vordigitalen“ Zeiten selbst in die Schule gegangen sind, kennen die Antwort: Es kommt auf die Lehrperson an! Aber bei all den unterschiedlichen Formen, in denen sich guter Unterricht zeigen kann: Auf die 1001 Chancen verzichten, die das Buch dem Lehren und Lernen dabei jeweils gibt? Niemals!
Der Schweizer Medienwissenschaftler Beat Döbeli Honegger hat sein jüngst erschienenes Buch „Mehr als 0 und 1“ genau dieser Frage der Notwendigkeit des Digitalen im Bildungswesen auf umfassende, dabei bestens verständliche und unaufgeregte Art und Weise gewidmet. Digitale Medien in der Schule sind sowohl Werkzeug und Thema als auch Ablenkung. Oder: Es kommt aufs Unterrichten mit | über | und trotz digitaler Medien an. Wie Bücher bisher sind digitale Medien nun ein weiterer – unverzichtbarer! – Aspekt und Bestandteil schulischen Geschehens. Die Dynamik der Entwicklung macht es nicht immer leicht, am Ball zu bleiben und Substanz von Hype bzw. Potential von Polemik zu unterscheiden. Aber genau auf diese Einordnung ins gesamte schulische Geschehen kommt es an – und Döbelis Buch hilft dabei enorm, eine sachliche Balance zu finden. Insbesondere seine Ausführungen über die Bedeutung der Informatik bzw. der informatischen Bildung seien gerade allen Nicht-Informatiker/innen wärmstens empfohlen. Meines Erachtens ist Beat Döbeli mit diesem Buch ein großer Wurf gelungen – und zwar gerade weil er bei allem Verständnis für das Digitale den Kern schulischen Geschehens immer im Blick behält: „Die Schule muss zwar die Digitalisierung als Werkzeug und Thema integrieren, darüber hinaus aber vor allem auf das fokussieren, was die Digitalisierung nicht zu leisten vermag. Wir sind mehr als 0 und 1.

  • Michael Fullan, Joanne Quinn: Coherence. The Right Drivers in Action for Schools, Districts, and Systems

Michael Fullan verdanke ich viele Einblicke. U.a. schätze ich seinen klaren, erfahrenen, systemischen Blick, wenn es darum geht, Projekt- und Prozess-„Architekturen“ zu gestalten. 2011 veröffentlichte er einen Aufsatz über die „wrong drivers“ im Bildungssystem. Diese wären „external accountability, individualism, technology, and ad hoc policies“. Die große Resonanz – gerade von pädagogischen Profis – bewog ihn nunmehr dazu, gemeinsam mit Joanne Quinn dem Ansatz der „right drivers“ (auch diese 2011 ein erstes Mal formuliert) ein ganzes Buch zu widmen. Worauf es also ankäme?

  1. Focusing Direction. Die Konzentration auf einige wenige, wirklich wichtige Ziele.
  2. Cultivating Collaborative Cultures. Die Kraft der Community im Sinne der kollektiven Stärkung der Pädagogischen Profession nützen.
  3. Deepening Learning. Sich gemeinsam – allen voran und merkbar die Führungspersonen! – auf einen Lernweg machen.
  4. Securing Accountability. Verantwortung und Rechenschaftspflicht durch eine gute Balance interner und externer Maßnahmen.

Und wo bleibt das Digitale? Fullan gibt selbst zu, dass das Potential digitaler Medien und Werkzeuge (u.a. durch die steigende Verwendung von Tablets im Klassenzimmer) erst in den letzten fünf bis sechs Jahren auf seinem Radarschirm aufgetaucht ist. Mittlerweile sei aber – merk’s, eEducation! – die Zeit reif und das Digitale ein gewaltiger „Beschleuniger“ der schulischen Entwicklung, wenn man es richtig angeht.
Und was wäre „richtig“ im österreichischen Kontext? Ganz holzschnittartig nehme ich mir die folgenden drei Aspekte mit in die Transformation der bisherigen E-Learning-Initiativen zu eEducation-Austria:

A) Kohärenz mit den wesentlichen Ziele von SQA und QIBB – u.a. auf dem Wege einer „digital-inklusiven“ Fachdidaktik.
B) Weitere Förderung der Zusammenarbeit der pädagogischen Profession quer über alle Schularten und Bundesländer hinweg.
C) Lernseitigkeit – sowohl im Blick auf die Schüler/innen als auch hinsichtlich der Zusammenarbeit und Qualifikation der Lehrpersonen.

Um Fullan abschließend selbst zu Wort kommen zu lassen: „If you mix in good pedagogy as the driver (versus technology) as part of the content of capacity building and social capital exchanges, you get a triple benefit. The synergy is powerful. Good pedagogy is what teachers like to do every day. It is close to their hearts and minds, individually and collectively. Then you can integrate digital that, under these conditions, becomes an amazing accelerator and deepener of learning.
PS: Und die informatische Bildung? Die wird m.E. in Österreich dann vorankommen wenn sie sowohl in der Mathematik-Fachdidaktik explizit wird als auch einen relevanten Stellenwert im Fächerkanon bekommt.

  • Frank Adamson et al.: Global Education Reform. How Privatization and Public Investment Influence Education Outcomes.

The (very) big picture. Welche Reformansätze kann man – im globalen Überblick – als gelungen bezeichnen? Dieses Buch versucht mit Hilfe von sechs Fallbeispielen Hinweise und Antworten zu geben. Die Systeme Chiles, Schwedens und der USA (alle bzw. in weiten Teilen seit längerer bzw. längster Zeit Baustellen „neoliberaler“ Reformen) werden mit denen Finnlands, Kubas und Ontarios/Kanadas (in diesen [Teil-]Staaten wird Bildung stark als allgemeines, nicht privatisierbares Gut und Sache öffentlicher Investitionen gesehen) verglichen. Stark zu denken gibt insb. das Beispiel Schweden: Vor 15 Jahren noch „Musterschüler“, ist das Land mittlerweile deutlich unter den OECD-Durchschnitt gefallen. Der im Buch vorgestellte Grund: Die Privatisierung des Schulwesens und die Führung von immer mehr Schulen durch – oft auch gewinnorientierte! – Unternehmensketten. Deprofessionalisierung der Lehrer/innenschaft. Konkurrenz statt Kooperation. Im Lichte dieser Lektüre sieht man viel positives Potential im heimischen Schulsystem; gleichzeitig wird deutlich, wie kontraproduktiv das Konkurrenz-System hierzulande in der Mittelstufe sich auswirkt, und der Passus über eine kompetitiv agierende Bildungsstiftung im österreichischen Bildungsreformpaket (Ministerratsvortrag vom 17.11.2015) lässt einen fragend die Stirne runzeln …
Auch hier soll ein Zitat aus dem Buch, genau genommen eines von John Dewey aus The School and Society, beschließen: „What the best and wisest parent wants for his own child, that must the community want for all of its children. Any other ideal for our schools is narrow and unlovely; acted upon, it destroys our democracy … Only by being true to the full growth of all the individuals who make it up can society by any chance be true to itself.

Thomas Nárosy, NMS E-Learning Österreichkoordination