Onlinecampus Review

NBB zur Medienkompetenz: Es fehlt der Generalplan!

Ausgabe: #26 Juni 2016
Rubrik: Publikationen
Institution:

Nationalen Bildungsbericht 2015: Themenüberblick und Schlussfolgerungen sowie eine kritische Würdigung des Kapitels zur Medienkompetenz

Der Nationale Bildungsbericht 2015 (NBB 2015; https://www.bifie.at/nbb2015), erstellt vom BIFIE im Auftrag des BMBF und der Öffentlichkeit vorgestellt am 25.5. d.J., widmet sich in seinem 1. Band wesentlichen Daten und Indikatoren des österreichischen Schulsystems und im 2. Band acht Schwerpunkten. Zum ersten Mal ist dabei die Medienkompetenz explizit Thema und dieses NBB-Kapitel soll im folgenden Text ausführlich gewürdigt werden.

Der NBB 2015: Acht Schwerpunktempfehlungen und vier große Entwicklungsaufgaben

Einleitend ein schlaglichtartiger Überblick über die Empfehlungen der acht Schwerpunktkapitel des NBB sowie ein Blick auf die vier großen Entwicklungsaufgaben, die das Herausgeberteam Michael Bruneforth, Lorenz Lassnigg, Stefan Vogtenhuber, Claudia Schreiner und Simone Breit, herausgearbeitet hat:

  1. Volksschule verbessern.
  2. Formative Leistungsrückmeldung dem eindeutig positiven internationalen Forschungsstand entsprechend ausbauen.
  3. Einen ganzheitlichen strategischen Generalplan zur Entwicklung digitaler Medienkompetenzen entwickeln und umsetzen.
  4. Der durch die „Vererbung“ von Bildung feststellbaren Chancen-Ungerechtigkeit entgegenwirken und den Umgang mit Diversität verbessern.
  5. Präventionsmaßnahmen zum unterschätzten frühen Bildungsabbruch setzen.
  6. Zu Fragen von schulischer Führung mehr forschen, den Horizont des Schulmanagements weiten und „Mittleres Management“ ausbauen.
  7. Schulautonomie verbessert Schule nicht automatisch! Das dysfunktional Schulsystem verschlanken und sozialindexbasierte Finanzierungsteile einführen.
  8. Hinsichtlich der Bildungsfinanzierung das Wissen über die Ressourcennutzung und -verteilung verbessern und – nochmaliger Hinweis! – die Bildungsstrukturen reformieren.

Die vier großen Entwicklungsaufgaben sind lt. Herausgeber/innenteam die folgenden:

  1. Die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler verstärken.
  2. Verstärkt Verantwortung für Schülerinnen und Schüler und Schulen mit beeinträchtigenden Voraussetzungen übernehmen.
  3. Die handelnden Akteure professionalisieren, vor allem auch im Hinblick auf IKT-Nutzung.
  4. Schulgovernance strukturell verändern.

NBB 2015, Bd. 2, Kap. 3: Medienkompetenz fördern – Lehren und Lernen im digitalen Zeitalter

Nun zur einleitend angekündigten Würdigung des Kapitels zur Medienkompetenz im NBB 2015. Das Anliegen dieses Beitrags und das Sachverständnis des Autor/innenteams Peter Baumgartner, Gerhard Brandhofer, Martin Ebner, Petra Gradinger und Martin Korte bringt am besten der einleitende Absatz des Kapitels, hier vollständig zitiert, zum Ausdruck: „Dieser Beitrag widmet sich dem Stand in der Aus- und Weiterbildung zur Medienkompetenz mit besonderem Fokus auf interaktive digitale Medien. Wir gehen dabei davon aus, dass die Nutzung digitaler Medien zwar eine Reihe positiver Entwicklungen, sowohl in der Lehre als auch im Lernprozess, initiieren und freisetzen kann, dass aber Technikeinsatz allein noch keinen Garant für eine Qualitätssteigerung im Bildungssystem darstellt. Die technischen Möglichkeiten digitaler Medien müssen im Hinblick auf die Realisierung eines didaktischen Mehrwerts beurteilt werden. Darunter verstehen wir die Gestaltung von medial unterstützten Lehr- und Lernsituationen, die einen Vorteil generieren, der ohne technische Unterstützung nicht vorhanden wäre.“ (aaO S. 95)

Kernaussage: Es fehlt der ganzheitliche strategische Generalplan zur Entwicklung digitaler Medienkompetenzen!

Ein weiteres Zitat führt direkt in die Kernaussage des NBB-Beitrags: „Es gibt derzeit kein systematisches und flächendeckendes Aus- und Weiterbildungsangebot im Bereich der digitalen Medienkompetenz für Lehrkräfte.“ (aaO S. 101) Und das wiederum habe seine Ursache im Fehlen eines ganzheitlichen strategischen Generalplans zur Entwicklung digitaler Medienkompetenzen. Dabei verfügten Österreichs Schulen über eine im internationalen Vergleich relativ gute IT-Ausstattung, deren Nutzungsgrad im Unterricht allerdings relativ niedrig sei. Es scheine dabei nicht an der IT-Nutzungskompetenz des pädagogischen Personals zu mangeln, diese „ … ist hoch, die pädagogisch-didaktische hingegen niedrig.“ (S. 98) Aber man möge sich keinen Illusionen hingeben, dass sich das Problem mit dem Generationenwechsel der Pädagog/innen von selbst erledigen werde: Der Systemwandel erfolge nicht automatisch mit dem Wechsel der Lehrer/innengenerationen! Dabei mangelte es in Österreich nicht an einschlägigem Know-how und einer Vielzahl von interessanten Ansätzen wie EPICT oder den E-Learning-Netzwerken eLSA oder eLC, die seit mehr als zehn Jahren als „Erprobungsnetzwerke“ bzw. zum Zweck der „Überprüfung und Optimierung“ aktiv seien und denen eine Fülle von Erfahrungen, Wissen und Praxis-Beispielen zu verdanken wären. 

Kritische Anfragen an den NBB-Artikel oder: Woran man merkt, dass mehr Forschung wichtig wäre …

Die Schlussfolgerung des NBB-Beitrags, dass das mangelnde Breitenwachstum digitaler Medienkompetenzen bei den Lehrpersonen und dadurch bedingt das Fehlen der eingangs erwähnten Vorteile durch die Nutzung digitaler Medien für Lernen und Lehren den nicht weiter wachsenden Netzwerken anzulasten sei, ist m.E. allerdings ungerechtfertigt und tut deren Arbeit schlicht unrecht. Die Netzwerke hatten nie den Auftrag, nie die Mittel und nie die Durchsetzungsmöglichkeiten für größere Breitenwirksamkeit. Der Artikel bleibt auch jeglichen Beleg für solche Erwartungen und Aufträge von Seiten des BMBF schuldig. Als gelernter Österreicher fragt man sich, ob hier vielleicht von Versäumnissen an anderen Stellen abgelenkt werden soll? Denn diese Versäumnisse sind sattsam bekannt und werden auch an anderen Stellen im Nationalen Bildungsbericht benannt: Verstrickung in Zuständigkeitsebenen; das Versanden von Initiativen im Kompetenzwirrwarr; mangelnde Konsequenz in der Umsetzung; halbherzige Mitteldotierung.
Eine ähnlich widersprüchliche bzw. halbinformierte Argumentation ist auch in der Darstellung der EPICT-Initiative zu finden, der ein mangelhaftes Zeugnis ausgestellt wird. Der dafür zitierte Beleg ist dafür aber untauglich; bei genauer Kenntnis der genannten Studie der PH Kärnten zeigt diese nämlich auf, dass die erwähnten Schwierigkeiten auf hausgemachte, organisatorischen Fragen und nicht auf das EPICT-Konzept zurückzuführen sind. Einmal mehr wird deutlich: Das Problem ist der Wille und die Konsequenz zur Umsetzung; ist dieser vorhanden, funktioniert EPICT in der Ausbildung ausgezeichnet, wie andere Pädagogische Hochschulen gezeigt haben! EPICT bewährt sich übrigens auch in der Fort- und Weiterbildung in zwei Bundesländern, weil hier eine engagierte und kompetente Trägerschaft dahinter steht.
Der NBB-Beitrag vergleicht in der Folge die österreichischen Konzepte mit mehreren nationalen Umsetzungsstudien (aaO S. 108f). Leider fehlt in diesem Vergleich der ICILS-(International Computer and Information Literacy Studie: http://www.iea.nl/icils_2013.html)-„Weltmeister“ Tschechien. Und just an diesem Beispiel ließe sich studieren, dass der Erfolg der Tschechen schlicht am Mut zur Durchsetzung gelegen hat: in diesem Fall am Mut zur Einführung eines einschlägigen Fachgegenstands in der Mittelstufe sowie daran, den Erwerb von digitalen Medienkompetenzen an die Verlängerung von Anstellungsbedingungen von Lehrpersonen zu knüpfen. Letztendlich ernten alle die Früchte ihrer Investitionen: Mal mehr, mal weniger …
All diese kritischen Anfragen belegen aber erstens indirekt eine der drei Schlussfolgerungen für politische Handlungsfelder: nämlich mehr zu forschen, und tun zweitens der Hauptaussage dieses NBB-Beitrags keinen Abbruch: In Österreichs Bildungswesen existiert kein Generalplan zur Beförderung digitaler Medienkompetenzen!

Weitere Themen im NBB-Artikel: Ein kursorischer Rundblick

Im Artikel werden noch weitere Themen – mehr oder weniger ausführlich – behandelt, die ich hier noch kursorisch anreißen möchte:

  • Der Begriff Medienkompetenz wäre im Wandel und könne heute mit digitaler Kompetenz gleichgesetzt werden. Das ist eine interessante und mutige Darstellung, wenngleich hier die Frage gestellt werden könnte, ob in dieser Sichtweise das pädagogische Erbe der „klassischen“ Medienbildung entsprechend gewürdigt und inkludiert ist. 
  • Der Erlass zur Medienbildung wäre ein hervorragendes Basisdokument, dem mehr Aufmerksamkeit zu wünschen sei! Einem Exkurs zum Thema Cybermobbing folgt die Anregung, die österreichische Gewaltpräventionsstrategie zu reaktivieren.
  • Ein kurzes neurowissenschaftliches Kapitel kommt zum Schluss, dass nicht die Beschäftigung mit digitalen Medien per se, sondern deren inkompetente Nutzung problematisch wäre; man müsse das einfach lernen, wie so vieles andere auch.
  • Der Teil über Schulbuchaktion, Bildungscloud und OER liefert einen wichtigen Beitrag zur Gesamtentwicklung, ist aber zT schlecht recherchiert und die komplexen Zusammenhänge zwischen Produktion, Dissemination, Nutzung und die damit verbundenen ökonomischen Modelle sind leider undifferenziert dargestellt. Die Entwicklung neuer Modelle muss von einer vollständigeren Analyse, als sie hier vorliegt, ausgehen, was aber – einmal mehr – indirekt auch die ohnehin in den Schlussfolgerungen klar geäußerte Notwendigkeit einer einschlägigen Forschungsstrategie verdeutlicht.
  • ePortfolio: Das Werkzeug wäre gut beforscht, aber wenig genützt. Auch hier greift der Artikel Hand in Hand in andere Erkenntnisse des NBB, an dieser Stelle der Aufwertung formativer Leistungsbeurteilung

Schlussfolgerungen für politische Handlungsfelder

Abschließend die – aus meiner Sicht und Kenntnis der Sachlage – sehr erfreulichen und grundrichtigen 
Schlussfolgerungen des Beitrags:

  1. Eine Bildungscloud als zentrale Infrastruktur. 
  2. Umfassende Medienkompetenz für Lehrende. 
  3. Nationale Forschungsstrategie für eine evidenzbasierte Praxis. 

Das sich wie ein roter Faden durch den NBB-Beitrag ziehende Fehlen eines Generalplans zur Förderung digitaler Medienkompetenzen hätte am Ende dieses Artikels durchaus nochmals Erwähnung finden können.

Thomas Nárosy, education group | NMS E-LEarnung (30.5.2016)